Wie Virtual Reality die Reisebranche verändert
Professor Armin Brysch erklärt, warum der Tourismus von modernen Technologien profitiert und wie Menschen vom Sofa aus reisen können
Eine digitale Wanderung durch eine enge Klamm, eine Zeitreise in eine Stadt aus dem 15. Jahrhundert oder ein Tauchgang durch das größte Korallenriff der Welt direkt vom Sofa aus: Virtuelle Technologien kommen immer mehr im Reisesektor an. Spezielle Apps und Virtual-Reality-Brillen machen fremde Orte zugänglich. Armin Brysch, Professor an der Hochschule Kempten, erforscht den Einsatz dieser Technologien in der Tourismusbranche. Ist das nur ein Hype oder sieht so die Zukunft des Reisens aus? Ein Interview über neue Möglichkeiten und ihre Grenzen.
Herr Brysch, was kann man sich unter virtuellem Reisen vorstellen?
Darunter versteht man eine Reise, die durch Technologie und durch digitale oder von Computern generierten Inhalten ergänzt, erweitert oder angereichert wird. Man unterscheidet zwei Arten von virtuellem Reisen – mit Hilfe von Augmented Reality (AR) oder Virtual Reality (VR). Am besten lässt sich der Unterschied an Beispielen erklären. Hier im Allgäu haben wir eine Tourismus-App, mit der ich mir beim Wandern anzeigen lassen kann, welche Berge um mich herum sind. Das nennt man Augmented Reality, also eine Technologie der erweiterten Realität. AR wird in der Tourismusbranche bereits genutzt.
Und wie sieht es mit Virtual Reality aus?
Bei Virtual Reality befinden wir uns in einer virtuellen Welt, die von Computern generiert wurde – ähnlich wie in einem Computerspiel. Auch hier ein Beispiel: In Köln gibt es die Möglichkeit, mit einer alten Straßenbahn eine Zeitreise zu machen. Man setzt dazu eine VR-Brille auf, die das komplettes Sichtfeld umschließt und verliert dadurch jeden Referenzpunkt zur Realität. Plötzlich findet man sich in einer Geschichte wieder, die erzählt, wie sich die Stadt in den vergangenen Jahren verändert hat. Man bekommt das Gefühl, Teil dieser Geschichte zu sein. Man kann sich mit der Brille bewegen und erleben, was um einen herum passiert. Das nennen wir Wissenschaftler immersive Erlebnisse und Virtual Reality.
Klingt spannend. Sie sprachen von Apps und VR-Brillen. Welche Technologien benötige ich, um virtuell zu reisen?
Für AR-Anwendungen reicht ein einfaches Smartphone, mit dem man sich die entsprechenden Apps herunterladen kann. Das können touristische Apps sein wie jene aus dem Allgäu oder Apps, die von Museen angeboten werden. Diese Art der Technologie ist intuitiv und leicht zu bedienen. Und sie bietet einen Mehrwert, wenn ich plötzlich nicht nur das Walskelett im Naturkundemuseum vor mir sehe, sondern sich auf meinem Display das Skelett zu einem lebendigen Tier entwickelt und durch den Raum schwimmt. Für virtuelle Erlebnisse ist zusätzlich eine VR-Brille notwendig.
Die Beispiele von virtuellem Reisen, die Sie genannt haben, waren mit einem Ort verbunden – sei es das Museum oder eine Urlaubsregion. Kann man auch von der Couch aus virtuell reisen?
Ja, sobald man sich eine VR-Brille zulegt, ist das möglich. Die Brillenanbieter bieten auf ihren eigenen Plattformen sowohl kostenlose als auch kostenpflichtige virtuelle Erlebnisse zum Download an. So kann man an einem Samstagnachmitttag, wenn es draußen regnet, gemütlich auf die Couch setzen und das virtuelle Erlebnis beginnen, zum Beispiel, indem man am Great Barrier Reef in Australien abtaucht.
Kann das virtuelle Reisen das echte Reisen ersetzen?
Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Wahl: Nach Mallorca an den Strand fliegen oder virtuell durch den Sand laufen? Sie würden sich in diesem Fall sicherlich für die tatsächliche Reise entscheiden. Aktuell erwarte ich nicht, dass das virtuelle Reisen das echte vollständig ersetzt. Es kann aber eine sinnvolle Ergänzung und in Nischen ein Ersatz sein. Denken wir an mobilitätseingeschränkte Personen. Zum Beispiel wenn eine Familie mit den Großeltern im Wanderurlaub ist. Die Enkel wollen eine Höhle besuchen, die nur durch viele enge Stufen passierbar ist. Die Kinder gehen in die Höhle, während sich Oma und Opa für die ungefährliche Variante entscheiden, eine VR-Brille aufsetzen und dieselbe Höhle auf diese Weise erleben. Ein anderes Beispiel: Wir wissen, dass die Natur weltweit durch die Übernutzung sehr leidet und wir viele Schutzgebiete erschaffen müssen. Auch hier sehe ich eine Bereicherung durch VR, indem man sagt: Wir gehen jetzt nicht in diesen Teil des Dschungels, weil dort ein Naturreservat ist oder eine seltene Vogelart brütet, sondern wir schauen uns das Ganze durch eine VR-Brille an. Beliebt ist auch im geschäftlichen Kontext (B2B) der Einsatz von VR-Anwendungen bei Touristikern.
Wie meinen Sie das?
Bei der Einarbeitung kann das virtuelle Erleben hilfreich sein, um sich mit fremden Destinationen vertraut zu machen. Bevor man als Animateur oder Tourismus-Produktmanager zum Beispiel nach Portugal an die Algarve reist, hat man die Gelegenheit, sich mittels VR mit der Umgebung, den Stränden oder den Felsformationen vorab vertraut zu machen und nebenbei noch Wissen anzueignen.
Wagen wir ein Blick in die nächsten Jahre: Welche digitalen Herausforderungen werden im Bereich Tourismus und Digitalisierung erwartet?
Hier wird die digitale Nachhaltigkeitskommunikation eine große Rolle spielen. Wie kann ich Menschen durch digitale Kommunikation dazu bewegen, dass sie sich für eine nachhaltigere Reisevariante entscheiden? Außerdem werden Chatbots immer mehr ins Gespräch kommen. Einige Hotelanbieter nutzen solche Technologien bereits auf ihren Websites und können damit ein Teil der Standardkommunikation abdecken: Sind zum Beispiel noch Hotelzimmer frei? Welche Upgrades gibt es? Weiter werden die Fortschritte in der Content-Produktion durch Künstliche Intelligenz wie z.B. mittels ChartGPT und DALL-E die Arbeits- und Erstellungsprozesse im Tourismus weiter digitalisieren und/oder automatisieren. Es bleibt also spannend.
Zur Person:
Nach dem Studium der Betriebswirtschaft und de International Marketings hat Armin Brysch mehr als 20 Jahre in der Dienstleistungs- und Tourismusbranche gearbeitet. Er war unter anderem Vorstand der Deutschen Zentrale für Tourismus und Senior Consultant beim Europäischen Tourismus Institut (ETI). Seit zwölf Jahren ist er Professor für Dienstleistungsorientierte BWL an der Hochschule Kempten. Dort befasst er sich mit Themen wie Service Management, digitales Marketing oder Neugestaltung von Dienstleistungsprozessen. Außerdem forscht er zum Einsatz von Mixed Reality (AR und VR) im Tourismus und geht den Fragen nach, wie das Reisen im Metaverse durch neue technische Möglichkeiten verändert werden kann und welche Chancen und Risiken darin liegen.
Die Urlaubsmessen und der Tourismus:
Auf der CMT in Stuttgart, der Touristik & Caravaning in Leipzig sowie der REISEN & CARAVANING in Hamburg präsentieren sich Länder, Regionen und Städte rund um den Globus und bieten Reiseinspirationen aus der ganzen Welt. Deutlich wird auch bei den Urlaubsmessen, dass viele Institutionen in die Digitalisierung sowie in AR und VR investieren. Ein VR-Erlebniszentrum im Europapark in Rust ermöglich zum Beispiel eine virtuelle Reise auf den Mars. Im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe können BesucherInnen die Archäologie in Baden digital erleben. Und in Hamburg können Interessierte mit einer App und dank AR einen völlig neuen Blick auf die Speicherstadt werfen.
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